Ministerpräsident des Freistaats Thüringen Bodo Ramelow

Quelle: Thüringer Staatskanzlei

Verehrte Zeitzeugen und verehrte Angehörige,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

viele Jahrzehnte lang wurde in Deutschland Zwangsarbeit als Begleiterscheinung des Zweiten Weltkriegs bagatellisiert. Die Nationalsozialisten hatten mehr als 20 Millionen Menschen aus angegriffenen oder besetzten Ländern aus ihrer Heimat verschleppt, zu schwerster Zwangsarbeit gezwungen und bis zur völligen Erschöpfung ausgebeutet. Die Sklavenarbeit in Industrie und Landwirtschaft geschah unter den Augen der deutschen Bevölkerung, die zumeist nichts Verwerfliches in der erbarmungslosen Ausbeutung dieser Frauen und Männer, zum Teil waren sie noch Kinder, sah.

Nach dem Krieg wurde das Leid der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in beiden Teilen Deutschlands verharmlost und ausgeblendet, die Mitwirkung deutscher Unternehmen an der Ausbeutung bis zum Tod verschwiegen. Weder erfolgte eine juristische Aufarbeitung und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine Bestrafung der Täter noch eine finanzielle Entschädigung der Opfer. Das vergessene Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter macht uns bis heute fassungslos. Wir können daher nachempfinden, dass nicht nur die Zeit der Zwangsarbeit den Opfern – und ihren Angehörigen – tiefe Wunden schlug, sondern auch die viel zu späte Anerkennung ihrer Rechte.

Auf dem Walpersberg bei Kahla, einem der größten Einsatzorte ziviler Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Thüringen, erinnern wir alljährlich zum Jahrestag der Befreiung von Krieg und Nationalsozialismus an die Opfer der REIMAHG. Nur virtuell können wir in diesem Jahr der 12.000 Kinder, Frauen und Männer aus vielen Ländern Europas gedenken, die hier unter katastrophalen Bedingungen schwerste Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten mussten. Schon am Tagesbeginn erschöpft, halb verhungert und von Krankheiten gezeichnet mussten sie Ausbeutung, Gewalt und Misshandlungen erdulden, der Tod war ihr ständiger Begleiter.

Als nachfolgende Generation bitten wir Sie, verehrte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, und Ihre Angehörigen um Vergebung für die Verschleppung aus der Heimat, für die schwere Zwangsarbeit sowie die inhumanen Lebens- und Arbeitsbedingungen, für die erlittene Gewalt und Freiheitsberaubung. Und wir bitten um Vergebung für den Tod von 2.000 Menschen, die direkt oder mittelbar an den Folgen der Deportation und erbarmungslosen Ausbeutung in den Lagern der REIMAHG bei Kahla starben. Wir werden nicht aufhören, die Namen der Opfer zu nennen und ihre Geschichte zu erzählen.

Wir sind Ihnen unendlich dankbar, dass Sie uns an diesem Ort der Versklavung und Erniedrigung die Hände zur Versöhnung reichen. Mit Ihren Beiträgen und Fotos auf dieser Internetseite bestärken Sie uns darin, das Andenken an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter der REIMAHG zu bewahren und deren Schicksal kommenden Generationen als Mahnung weiterzugeben. Ihre persönlichen Erinnerungen verstehen wir als eine Aufforderung, Verstand und Herz offenzuhalten und gegen neue Menschenfeindlichkeit anzukämpfen, damit sich nie wieder rassistische Verachtung für andere Nationen in unserer Gesellschaft ausbreiten kann.

Ich hoffe, dass wir uns schon bald wieder auf dem Walpersberg bei Kahla die Hände in Freundschaft und Verständigung reichen können und wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. Bleiben Sie behütet!

Ihr
Bodo Ramelow
Ministerpräsident des Freistaats Thüringen

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